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Nicht zu früh und nicht zu spät, haben wir uns am Vortag vorgenommen, wollen wir den Zug von Tenero nach Mailand nehmen. Da wir indes schneller bereit sind als gedacht, beschliessen wir einen Zug früher aufzubrechen. SOPPRESSO, ist das erste, was wir am Bahnhof lesen und ein aufgeregtes älteres (älter als wir) Ehepaar, das entrüstet verlauten lässt, man habe sie von Locarno nach Tenero geschickt, so dass sie hier auf den Zug könnten und nun gehe gar nichts mehr. Weiter wurde lamentiert, dass sie gerne in Mailand übernachtet hätten, doch da Fashion Week sei, gäbe es unverschämte Preise!
«Wir sind ja in den Ferien und haben Zeit», liess ich etwas trocken verlauten und fragte, ob sie nicht auch mitkommen möchten, um einen Kaffee zu trinken sowie auf den nächsten Zug zu warten. Das taten sie auch und beruhigten sich langsam, aber sicher. Werner und ich schmunzelten, wir hätten gerade so gut auf den erstgeplanten, späteren Zug gehen können, der es nun auch effektiv sein wird. Als der Zug kam verabschieden wir uns von dem Paar und geniessen eine kurzweilige Fahrt nach Mailand.
Das Wetter wird, je südlicher wir fahren, immer schöner. Der Zug rumpelt in Italien über manche Streckenabschnitte, draussen ziehen graue Häuserfassaden an uns vorbei, einige renovationsbedürftig, andere in die Tage gekommen, wobei deren Farben in Gelb oder Altrosa irgendwie warm ums Herz machen.
Die Zugfahrt endet im Kopfbahnhof Milano Centrale und dieser ist wirklich zentral gelegen, mitten in der Stadt.
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Gemäss unserer Vorstellung müsste das Stadtzentrum geradeaus zu erreichen sein. Entsprechend marschieren wir los, machen einen kurzen Halt in einer Bar und geniessen unseren ersten Kaffee, um danach erstaunt festzustellen, dass wir nur noch etwa hundert Meter hätten weitergehen müssen, um auf dem Platz des Mailänder Doms zu stehen. Grandios dieser Anblick, auch wenn er gerade zwecks Renovation etwas eingepackt ist. Die Galleria Vittorio Emanuele kann kaum weitere Menschen aufnehmen, so viele halten sich darin auf. Doch bevor wir da ankamen, entdeckten wir etwas für uns Lustiges. In einer Seitengasse scharten sich kamerabewehrte Menschen um ein Schaufenster und knipsten, was das Zeug hielt. Neugierig und belustigt verfolgen wir das Schauspiel. Im Fenster stehen fünf junge Models, räkeln und strecken sich, schauen scheinbar gelangweilt und unbeobachtet auf die Gasse – was das bloss soll? Aber ja doch, es ist Modewoche – Fashion Week in Milano. Die Crème de la crème solle anwesend sein, hören wir. Gesehen haben wir niemanden von den Grössen, wie Heidi Klum oder Naomi Campbell, aber viele Journis und Fotografen, wartend vor Hoteleingängen. Gesehen haben wir dafür Mütter, die ihre Töchter pushen wollen und zudem so gestylt sind, dass sie etwa gleich jung aussehen, aber eben, nur fast. Witzig und mutig sind indes die Models, die in eigenwilligen und auffallenden Kreationen alleine auf dem Domplatz oder in Seitengassen umherstaken.
Das war ein lustiges Abenteuer und völlig anders als erwartet. Das ältere Ehepaar treffen wir übrigens noch zweimal in den Strassen und dürfen feststellen, dass sie inzwischen ganz begeistert wirken. Glücklich verkünden sie: «Wir haben Naomi Campbell gesehen!»