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Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich je auf die Idee gekommen wäre, am Oberalppass eine Wanderung zu machen, hätte ich da nicht diese fixe Idee, einem Fluss von der Quelle bis ans Meer zu folgen. Alle Hinweise, die ich finden konnte, besagen, dass die Rheinquelle, für die ich mich entschieden habe, am Toma-See liege. Zumindest der Vorderrhein sammelt sein Wasser aus diesem Gebiet.
In ganz Europa und der Schweiz brechen sich zurzeit die Hitzerekorde. Das hilft dem Schnee, der uns unlängst eine Wanderung in dieser Region verunmöglicht hatte, an den Kragen zu gehen. Überall sammelt sich das Schmelzwasser, das munter die Bachbeete und über manchen Hang herunter plätschert.
Auf dem Oberalppass konnte man bis vor Kurzem das Auto gratis auf dem Parkplatz abstellen. Seit dem 25.07.2019 kostet es 5.-. Wir staunen wie viele Wanderer bereits auf dem Pass sind und entweder den Weg über den Pazolastock und die Badushütte oder um den Berg herum direkt zur Rheinquelle und dem Toma-See wählen.
Wir haben die zweite Variante vorgesehen. Die Wanderung führt uns durch ein Blütenmeer mit vielen bunten Blumen, die ich nicht alle namentlich kenne. Die Flora und mit ihr die Vegetation ändert unterwegs mehrfach. Es ist eine wahre Freude, einen ganzen Hang mit Türkenbund und Orchideen zu sichten. Weiter vorne folgt ein Alpenrosenhain und dann wird die Landschaft leicht karger, Kühe grasen auf den Weiden und doch kann man eine ungemeine Vielzahl an Enzianen, Glockenblumen, Pimpinellen, Arnika, Eisenhut oder Wollgras sichten. Das erleichtert mir den sanften, steten Anstieg zum Toma-See. Ich liebe Blumen und heute werde ich diesbezüglich verwöhnt! Und doch, irgendwie komme ich heute nicht in Schuss, ich finde meinen Rhythmus nicht. Der Atem fliesst nicht wie er sollte und ich komme nur langsam voran. Auch brauche ich öfter eine Pause. Hitze, Höhe oder einfach «nicht mein Tag»? Ich weiss es nicht. Andererseits lässt mich das die Blumen studieren und die Aussicht geniessen. Herrlich!
Am Toma-See angekommen sehe ich bereits eine Frau und ein Kind ins türkisfarbene Wasser waten. Es muss kalt sein, ihren Gesten nach zu urteilen. Das lass ich mir nicht nehmen, ich will auch einmal meine Füsse in einem Bergsee baden und sie gar in DIE Quelle des Rheins halten. Also ziehe ich Schuhe und Socken aus, kremple die Hosen hoch und wate ins eiskalte Wasser. Kalt und kristallklar! Krebsrot leuchten meine Waden nach diesem kurzen Bad. Danach über die weiche Wiese zum Wanderweg und einem Felsbrocken barfuss wandern, einfach herrlich und ungemein wohlig. Wie sinnlich, das ist! 1 320 km bis zur Mündung? Da freue ich mich noch auf manches Abenteuer 😊
Da ich nicht so fit war beim Aufstieg entscheiden wir uns, anstatt in die Maighelshütte in die näher gelegene Badushütte hochzuwandern. Das letzte Teilstück bezeugt mit Soldanellen, dass bis vor Kurzem noch Schnee gelegen haben muss. Zuoberst gibt es tatsächlich noch ein kleines Schneefeld zu durchschreiten. Es war richtig zu warten, bis die Mehrheit weggeschmolzen war, so ist die Wegbezeichnung durch die Felswände klar ersichtlich und eindeutig. Nach einer halben Stunde ist das Ziel erreicht. Eine Gemüsesuppe und ein Chacheli Pfefferminztee stärken und erfrischen mich. Trotzdem verzichten wir den Weg über die Maighelshütte zu nehmen und wandern «hinten rum» zurück zum Oberalppass. Der Abstieg ist spektakulär und gewinnt an Faszination, da ein Helikopter im 3 Minuten-Takt einen Betonkübel an einem Seil hängend durch die Luft transportiert. Die Kurven, die der Heli zieht, sehen halsbrecherisch aus!
Es war ein schöner Tag und ich schätze das Privileg ungemein, dann unterwegs sein zu können, wann ich will und das Wetter stimmt. Vor meiner teilzeitlichen Frühpensionierung hoffte ich auf gutes Wochenendwetter. Wie das aussehen kann, brauch ich niemandem zu erklären.